Auszug eines Interviews von Klara Kron mit mir für das Design Magazine
Vorwort von mir: Ich bekam vor einiger Zeit über eine gemeinsame Freundin eine Interviewanfrage von Klara, die in Münster Design studiert. Für das Design Magazine, was jedes Semester erscheint, gab es diesmal das Thema “Wertewandel” und Klara hat ein Essay darüber geschrieben, was überhaupt einen materiellen oder emotionalen Wert darstellt. Insbesondere für die Thematik “alte gebrauchte Socken” kam ich dann ins Spiel. Viel Spaß beim Lesen! (Und ein mega großes Dankeschön an Klara für diese sensiblen und offenen Worte )
Trash to Cash, vom Wäsche- in den Warenkorb
In der Welt des Online Shoppings können auch spezielle Wünsche erfüllt werden. Denn was für gewöhnlich gewaschen, weggeschmissen oder runtergespült wird, lässt sich hier mit einem Klick dem Warenkorb hinzufügen. Für schlappe 30 Euro kann ich mir LadyWetLips feuchten Slip schicken lassen oder bei Catgirl93 für 15 Euro geruchsintensive Strümpfe bestellen.
Spätestens seit “Orange is the new black” haben wir gesehen, dass das Schlüpfer-Geschäft ein stark florierender Markt ist. Versucht man dem auf die Spur zu gehen, wird man im Netz mit Websites überschüttet, die mit schlüpfrigen Angeboten locken. Sie locken aber nicht nur Käufer, sondern auch Verkäuferinnen, die anonym ihre Pos in die Kamera strecken und zwischen deren Backen ein pinker Slip blitzt, der nach den Angaben der Anzeige “mit Pussysaft” veredelt wurde.
Aber zwischen den Portalen, die bunt und billig nach Aufmerksamkeit schreien, findet man Seiten, die hervorstechen. Sachlich, niveauvoll, trotzdem wird deutlich, worum es geht: etwas Persönliches zu bekommen. Die Käufer können schreiben wonach sie sich sehnen und was sie sich wünschen. Im besten Fall bekommen sie dann, frisch vakuumiert, ihr Unikat zugesendet. Die Empfänger sind meist Menschen mit einem bestimmten Fetisch – Wäschefetisch, Fußfetisch, Geruchsfetisch. Vielen Männern reicht es nicht mehr, sich im Netz gestellten Fotos oder Filmen anzuschauen. Sie möchten etwas Reales in den Händen halten, um tatsächlich etwas berühren und riechen zu können. Sie möchten etwas, das Phantasien weckt.
Der Geruchssinn spielt eine wichtige Rolle für die menschliche Sexualität. Neben der visuellen und der taktilen Wahrnehmung, werden auch nach der Aufnahme von Gerüchen, erotisierende Impulse verarbeitet, wodurch die sexuelle Aktivität angekurbelt wird. Einmal tief einatmen – im vorderen Teil der Nasenscheidewand befindet sich das Vomeronasale Organ, auch das “sexte Sinnesorgan” genannt. Hier werden all die Pheromone empfangen und dann direkt zum Gehirn weitergeleitet. Mit einer Internetbestellung können also mehr Sinne stimuliert und Käufern ein vielfältigeres erotisches Erlebnis geschaffen werden.
Immer wieder werden Fetisch und Porno in eine Schublade gesteckt. Und genau da sollte eingehakt werden. Denn Fetische sind nicht nur im Porno-Kontext zu sehen. Ein Beispiel dafür bietet die Seite fussphantasie.de
Das, wonach sich viele sehnen, wird hier bedient. Auf ehrliche, persönliche und seriöse Art und Weise kann hier rund um Füße geshoppt werden. Hinter der Website steht Marco: Gelernter Krankenpfleger, DJ und Fußfetischist. Er gibt dem ganzen auch eine bestimmte Richtung. Mit seinem Namen, als auch seinem Gesicht, teilt er Erfahrungen mit seinem Fetisch. Auf eigener Suche nach angemessenen Websites, hat er sich selbst eine aufgebaut:
“Bei mir können die Leute auch privat vorbeikommen und ihre Socken abholen. Bin also der freundliche Typ von nebenan und genauso stelle ich mich, meine Seite und die Frauen auch vor.”
Der Besuch auf seiner Website ist nicht wie der Besuch einer Pornoseite. Es geht nicht darum virtuelle Erotik abzubilden, denn der Einkauf wird nicht pornografisch gestaltet, sondern es wird mit einem hohen Maß an Empathie und Realität auf Bedürfnisse eingegangen.
Kann schon sein, dass “50 Shades of Grey” uns die Fetische ein bisschen mehr ins Bewusstsein gerückt hat und wer weiß in wie vielen Schlafzimmern man sich getraut hat, ein bisschen mehr zu experimentieren. Trotzdem sind sie ein sensibles Thema, bei dem einem oft der Bezug zu den Menschen dahinter fehlt. Einen Fetisch zu haben, bedeutet ein bestimmtes Interesse zu verfolgen. Das ausgeprägte Interesse, das jemand für Gerüche und Füße hat, macht Socken oder Strümpfe begehrenswert. In der Vorstellung vielleicht ein bisschen ungewohnt, aber dann müssen wir uns selbst eingestehen, wie neugierig wir eigentlich sein müssten. Wieso haben Frauen so eine Ablehnung gegenüber Füßen? Wieso schlafen sie lieber mit Socken als ohne und warum ist es abstoßend an verschwitzten Socken zu riechen?
“Sex an sich ist schon eine “schmutzige” Sache. Man tauscht Körperflüssigkeiten, leckt an Genitalien, reibt sich an Schweiß, und so weiter. Was ist an der Socke denn anders als an einem verschwitzten Shirt, was man sich von dem/der Liebsten mit ins Bett nimmt um daran kuschelnd einzuschlafen?”
Marco geht sehr offen mit seinem Fetisch um. Sein privates Umfeld, aber auch viele Menschen darüber hinaus, wissen über seine Vorliebe Bescheid. Es steht allerdings eine längere Entwicklung dahinter, bis er tatsächlich so offen damit umgehen konnte.
“Bis in die 20er hinein habe ich aus Scham darüber geschwiegen, weil ich dachte, ich sei ein Weirdo. Generell ist Fußfetisch gesellschaftlich nicht so anerkannt wie jeder andere Fetisch. Füße sind halt immer noch “bah” und die meisten Männer leben deshalb ein Doppelleben.”
Ihm gelingt es durch seine sympathische Art den Fetisch gesellschaftstauglich zu machen. Viele Menschen sind eben ahnungslos und finden keinen Bezug zu dem Thema. Vorurteile bleiben im Raum stehen und können dadurch, dass genannte Themen tabu sind, auch nicht aus der Welt geschafft werden. Das öffentliche Bild des Fetischs hängt von gesellschaftlichen Konventionen ab.
“Das Problem der Vorurteile ist, dass man sich selbst die Vorurteile im Kopf macht und sich dem vermeintlichen Schicksal hingibt. So, wie ich es auch leider jahrelang gemacht habe. Grund ist eben die Erziehung und die Gesellschaft, was das Phänomen nicht aussterben lässt.”
Mit seiner Website ist Marco Geschäftsmann in der Fetischbranche. Der Aufwand, den seine Seite in Anspruch nimmt, variiert von nur einer Wochenstunde bis hin zu 80. Seit 15 Jahren ist die Seite wie seine eigene Therapieplattform, wie alt er selbst ist, möchte er aus verschiedenen Gründen geheim halten. Über gestohlene Socken, sexuelle Anziehungskräfte und die Facetten des Fetischs spricht er jedoch sehr offen.
Wann hast du das erste Mal bemerkt, dass du Füße ziemlich gut findest?
“Bemerkt habe ich den Fetisch, als ich 4 Jahre alt war. Zu der Zeit konnte ich das aber natürlich nicht benennen, weil man solche Dinge/Gefühle als Kind nicht in einen sexuellen Kontext zieht. Deswegen mag ich den Begriff “Fetisch” auch nicht so gern, weil damit fast immer “Sex” verbunden wird. Und es ist ja sehr viel mehr als das, was der Fußfetisch mit einem macht, bzw. auslösen kann – oder halt ersetzt.”
Kannst du die Gefühle beschreiben, die du empfindest, wenn du schöne Füße siehst, riechst oder berührst?
“Stell dir bitte vor, was man alles mit dem Körper verbinden kann. Das sanfte Anschmiegen an den Haaransatz bei einer Frau. Die Nähe und Wärme, die man spürt, wenn man neben einem liegt. Das Kraulen hinter den Ohren. Die Spannung und Aufregung, die man hat, bevor man etwas Neues oder Verbotenes macht. Das intensive Gefühl, wenn man nicht nur fickt, sondern miteinander schläft. Die glückliche zufriedene Entspannung danach. Das alles trifft auch auf den Fuß zu, bzw. kann zutreffen.”
Haben Füße für dich eine sexuelle Anziehungskraft, die vergleichbar ist mit der von schönen Pos oder Brüsten für andere?
“Ja und nein. Ich laufe nicht mit ‘nem Dauerständer in der Stadt rum, wenn alle Frauen Sandalen und Flip-Flops tragen, das würde mich auch ziemlich überfordern. Zudem mag ich keine Flip-Flops. Dazu kommt, dass auch ich schöne Pos und Brüste mag – mir das aber letztlich irgendwie auch ziemlich egal ist, wie die aussehen. Nicht der Fuß an sich triggert mich, es ist die Verknüpfung mit meiner Phantasie. Ich steh z.B. mehr auf “Shoeplay” mit Ballerinas, als auf die nackten Fußsohlen auf der Rheinwiese. Oder auf dreckige Socken… was mit dem Fuß an sich recht wenig zu tun hat.”
Ich habe auf deiner Seite gelesen, dass du selbst schon Socken online bestellt hast. Trotz deiner negativen Erfahrung – was erhofft man sich generell von solchen Bestellungen und welche Phantasien werden geweckt?
“Nun, da ist auch jeder anders. Bei mir persönlich ist es eben nicht immer die Socke an sich. Zum Beispiel sitze ich ja wirklich an der Quelle. Ich könnte jeden Tag von meinen Mädels irgendwelche Socken haben, aber das reizt mich null. Ich brauche irgendeinen Kick dabei, etwas was parallel läuft. Entweder eine Phantasie, die mich getragen hat und durch die Socke unterstützt wird, oder aber ich muss die Socken irgendwo heimlich geklaut haben, sozusagen als Trophäe. Dann ist der Weg dahin das Spannende, die Nervosität erwischt zu werden. Wenn mir jemand getragene Socken schenkt, ist das zwar nett, aber es reizt mich zu 99% nicht. Leider. Deswegen bestelle ich auch nicht (mehr). Zum einen sind bestellte Socken fast nie so, wie sie einem versprochen werden, zum anderen fehlt bei mir halt der Kick dabei.”
Vieles was man im Internet findet, sieht dann doch nach Porno aus. Was sagst du zu deiner Konkurrenz im Netz?
“Langweilig. Für mich. Und viel zu gekünstelt und anonym. Frauen sollen gerne Geld für die “Leistungen” bekommen, aber ich finde es teilweise unverschämt, wie die “dummen Fetis” abgezockt werden – weil man glaubt, sie lassen es mit sich machen. Blöderweise sind viele Männer aufgrund ihres Doppellebens in genau dieser Not und dann eben auf solche Seiten angewiesen. Der Markt ist da, das verstehe ich. Aber ich meide solche Webseiten. Was die Seriosität von Fetisch-Seiten angeht, stimme ich dir zu. Das meiste, was es online gibt, wird bewusst in den Porno-Kontext gezogen. Mädels mit Kniestrümpfen und Lolli im Mund, sexuell die Beine spreizend und als “Teen Girl” umschrieben. Sowas trifft ja auf jede Richtung der Pornographie zu, alles wird irgendwie übertrieben dargestellt. Da für mich der Fuß eben nicht nur den sexuellen Reiz bedeutet, lege ich bei mir sehr viel Wert drauf, diesen Kontext nicht zu bedienen. Zwar ist klar, dass es eine erotische Komponente gibt und ich bewege mich auch bewusst an den Grenzen, aber meine Seite bleibt jugendfrei und im Impressum steht mein Name und ich habe ein Bild von mir auf der Startseite. Die dubiosen Seiten sitzen irgendwo auf den Cayman Islands und du weißt selten, wer dahintersteckt.”
Wie siehst du das Fetisch-Image in der Gesellschaft? Hast du das Gefühl Menschen werden offener für Fetische?
“Nein. Eher im Gegenteil. Ich bin aktiver Jodler (die App “Jodel”) und sehe mit Entsetzen, wie spießig viele Menschen der jüngeren Generation aufwachsen. Zwar tun alle so offen und feiern z.B. LGBT, kämpfen für Freiheit und Akzeptanz, aber insgesamt werden die Probleme größer. Dazu kommt, dass der Fetisch an sich in die Kategorie “Sexismus” passt, denn es wird ja ein Teil der Frau objektifiziert. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass Gleichberechtigung enorm wichtig ist, keine Frage. Aber ich bin halt auch ein Sexist. Die Triebe des Menschen lassen sich nur bedingt unterdrücken oder in ein politisch korrektes Korsett zwingen.”
Wurdest du schon mit Vorurteilen konfrontiert und wie reagieren die Menschen auf deinen Fetisch, wenn du davon erzählst?
“Wenn überhaupt dann mit einem “iiihh, waaas willst du?” – aber einen Satz später habe ich die Lacher auf meiner Seite und kann mit den Leuten vernünftig und tiefgründig reden. Grundsätzlich merke ich, dass insbesondere Frauen eher erstmal reserviert aber trotzdem neugierig sind. Sobald sie mich kennenlernen, hört das anfängliche “iiih” aber auf – bin da scheinbar sehr kompetent und überzeugungsfähig.”
Menschen verspüren Ekel gegenüber Füßen und schrecken vor der zugehörigen sexuellen Vorliebe zurück. Dass der Fußfetisch als etwas Ekliges abgestempelt wird, liegt diesen Empfindungen zu Grunde. “Bitte nicht dran riechen, meine Füße stinken!”
Benutzte Socken werten wir bloß mit einem Naserümpfen ab. Genau dasselbe spielt sich im Kopf, bei Gedanken an den Fußfetisch, ab. Ekelgefühl wird uns zu Teilen angeboren, das Meiste ist jedoch erlernt.
Durch Kultur und vor allem durch unsere Eltern, erfahren wir, was unmoralisch, tabu und “eklig” ist. Aber: Da vieles erlernt ist, können wir vieles auch wieder verlernen. Wichtig ist, dass wir uns mit diesen Themen konfrontieren und uns damit auseinandersetzen.
Solltest du mal jemandem begegnen der dir zu Füßen liegt, dann füßelt doch mal. Vielleicht bist du ja überrascht. Fußphantasien sollten längst nicht mehr gesellschaftlich verpönt sein. Wenn du also deine Socken in die Wäsche wirfst, ist das nicht anders als bei mir. Wenn du aber lieber Socken aus der Wäsche klaust, ist das nicht weniger normal.
© 2019 Klara Kron